Spannende Bögen für neue Halle

20. 06.2023

Die neue Halle der finnischen Niederlassung von Würth setzt auf eine schlichte Konstruktion aus Stützen und Trägern. Die Ausbildung der Träger als Bogenbinder in Kerto-S erwies sich jedoch als nicht trivial und fügt dem modernen Ingenieurholzbau eine neue Variante für Dachtragwerke hinzu.

Eines der strategisch wichtigsten Logistikzentren von Würth befindet sich in der Nähe von Riihimäki, rund 70 km nördlich von Helsinki. Die Niederlassung wurde 1975 gegründet. Von dort aus liefert Würth finnlandweit ein breites Produktsortiment an Endverbraucher sowie an 200 Zweigstellen und Läden. Aufgrund des kontinuierlichen Wachstums wurde die Niederlassung während ihrer 30-jährigen Geschichte laufend erweitert und modernisiert. Um diesem anhaltenden Trend und den veränderten Geschäftsanforderungen gerecht zu werden, erhielt das Würth Center in 2021 einen ergänzenden Neubau, um sein spezielles Angebot für die sogenannte ASSY-Schraube, die als Schlüsselkomponente des Unternehmens im Holzbau gilt, zu präsentieren. Für diesen Zweck wollte die Bauherrschaft das neue Würth Center dann auch als Ingenieurholzbau ausführen. Im Ergebnis vereint er nun modernstes Holzbau-Know-how und nutzt dabei die Befestigungslösungen der umfangreichen ASSYProduktfamilie.

Komplexe Geometrie für scheinbar schlichte Lösung

Das äußere Erscheinungsbild der neuen Halle lässt zunächst keine außergewöhnliche Konstruktion des Gebäudes vermuten. Der Quader mit Glasfassade an einer seiner Stirnseiten überrascht erst im Innern mit seinem Holztragwerk. Dabei fallen besonders die Bogenbinder des Dachtragwerks ins Auge. Sie weisen zahlreiche Besonderheiten auf, die einer näheren Betrachtung lohnen, ebenso das Gesamttragwerk im Hinblick auf die Lastabtragung. Beim Gesamttragwerk handelt es sich um Balken auf zwei Stützen in Reihung, wobei die Balken als Bogenbinder ausgeführt sind. Die Bogenbinder erscheinen dem Laien wegen der eingefügten Vertikalstäbe möglicherweise wie bogenförmige Fachwerkträger besonderer Ausführung, sie sind jedoch keine. Zwar war das Ziel anfangs durchaus, einen Fachwerkbinder zu konstruieren. Nach zahlreichen Entwürfen für Fachwerkträger-Varianten kamen die Tragwerksplaner von SWG Engineering aus Rülzheim allerdings davon ab und suchten nach einer sinnvolleren Geometrie. Daraus hat sich schließlich der Bogenbinder mit Vertikalstäben ergeben. Und weil auch den Bauherrenvertretern in Finnland die Trägerform gefiel, entwickelten die Tragwerksplaner den Bogenbinder bis in die Details weiter. Letztere warfen zahlreiche Fragen auf, die es zu lösen galt. Für das Tragwerk waren die Gebäudeabmessungen mit knapp 58 m Länge, 23 m Breite und 10 m Höhe vorgegeben. Damit war nicht nur die Spannweite für die Bogenbinder mit 22,50 m fixiert, sondern auch deren Binderhöhe mit rund 2,80 m am Bogentiefpunkt. Schnell wurde außerdem klar, dass die Bögen aufgrund der erforderlichen Querdruckfestigkeiten nicht aus Brettschichtholz (BSH) sein konnten - insbesondere am Auflager, wo die Querdruckfestigkeit in der Bogensehne unter einem Winkel zur Faserrichtung nicht ausgereicht hätte -, sondern Kerto das Material der Wahl war. Das war auch deshalb eine gute Lösung, weil Kerto in Finnland Tradition hat.

Treppenversatz verbindet Druckgurt und Zugbogen im Auflagerbereich

Der Bogenbinder besteht aus einem Obergurt, der als Druckgurt fungiert, und einem Untergurt in Form eines Zugbogens, der als relativ dünne Sehne ausgeführt ist. Ein mit 1,20 m extrem langer Treppenversatz und zahlreiche Schrauben koppeln die beiden Gurte im Bereich der Auflager. Sieben Vertikalstäbe sind im Abstand von rund 2,80 m zwischen dem Ober- und Untergurt eingefügt. Bei der Lastabtragung werden die Kräfte in die Obergurte eingeleitet und von dort über die Vertikalstäbe in die Bögen weitergeleitet. Zur Optimierung der Binder haben die Tragwerksplaner durch Variation der Vertikalstab-Abstände den idealen Stababstand mit 2,81 m errechnet. Für die Optik stand die senkrechte oder geneigte, also rechtwinklige Anordnung der Stäbe bzw. der 2 x 45 mm dicken Kerto-S-Platten, auf dem Bogen zur Auswahl. Letzteres lehnten die Architekten aus ästhetischen Gründen ab. Die lotrechte Anordnung der in der Höhe variablen Steher auf den Zugbögen hatte nun allerdings geneigte Plattenränder als Aufstandsflächen auf den Bögen bzw. als Anschlussflächen am Obergurt zur Folge - eine Ausnahme bildet lediglich der höchste Steher in Bindermitte. Aus der Neigung resultiert nun an jedem Steherpunkt, an dem quasi die Steherachse auf die Tangente des Bogens trifft, eine Schubkraft bzw. an den Kontaktflächen zwischen Stehern und Bögen Querdruck, den es zu übertragen galt. Dies lösten die Ingenieure mit ausgefrästen Kopplungsstücken, ebenfalls aus Kerto-S, die sie als „Schuhe“ bezeichneten. Auf die Bögen geschraubt, ließen sich die Steher passgenau anschließen, was eine saubere Lastverteilung des Querdrucks ermöglichte. Auf diese Weise entstehen im Obergurt hauptsächlich Druckkräfte – wenngleich auch Momente auftreten und übertragen werden müssen -, und im Untergurt überwiegend Zugkräfte. Diese Zug- und Druckkräfte werden über den Treppenversatz im Auflagerbereich kurzgeschlossen und die Differenzkräfte in vertikaler Richtung als Auflagerkraft in die Stützen eingeleitet.

Bogenbinder über Schrauben auf ausgeklinkte Stützen gelagert

Bei den Stützenauflagern handelt es sich nicht um querdruckverstärkte Auflagerungen, sondern die Bogenbinder lagern rein rechnerisch lediglich auf den Schrauben. Hierfür erhielten sie an den Bogenenden auf der Bogenunterseite einen trapezförmigen Holzklotz, in den die „Auflager“- Schrauben eingedreht wurden. Der Holzklotz selber fungiert dabei lediglich als Füll- oder Haltematerial für die Schrauben. Diese wirken wie kleine Pfähle, die die Lasten über Knicken bzw. Eindrücken aus dem Bogenbinder aufnehmen und über die Stahlplatten, die auf den ausgeklinkten Stützen aufgelegt sind, in diese exzentrisch einleiten. Die Systemlinien des Ober- und Untergurtes treffen sich in der Mitte dieses exzentrischen Anschlusses und erzeugen ein Moment. Die Ingenieure entschieden sich, die Kräfte an dieser Stelle entsprechend kurzzuschließen, da die Bogenbinder keine weiteren Kräfte hätten aufnehmen können. Deshalb wurden die Stützen eingespannt. Für sie kam dann allerdings BSH der Festigkeitsklasse GL 30h zum Einsatz.

Aussteifung über Dachscheibe und Auskreuzungen in Längswandebene

Als Dachdecke dienen selbstaussteifende Rippen- bzw. Kastenelemente. Sie spannen 6 m weit von Bogenbinder zu Bogenbinder und sind in der Machart den Kerto-Ripa-Elementen ähnlich. Als Dachscheibe ausgebildet sorgen sie zusammen mit Auskreuzungen in Längswandebene für die Längsaussteifung der Halle. Die Queraussteifung erfolgt über die eingespannten Stützen. Für die Gebäudehülle kamen PUR-gedämmte Blech-Sandwichelemente zum Einsatz.

Konzept und Konstruktion eines mehrteiligen Bogenbinders

Die Gurte der Bogenbinder sind zweiteilig ausgeführt. Dabei besteht der Obergurt aus 2 x 2 Kerto-S-Balken (b x h: 15 cm x 45 cm) mit einer Länge von 11,25 m. Mit einem lichten Abstand von 20 cm verlegt, erreichen die Obergurte eine Gesamtbreite von 50 cm. In diesen Zwischenraum greifen die ausgeklinkten Steher ein, die als „Abstandhalter“ gleichzeitig das Auflager für die Kerto-S-Balken bilden. Kerto hat in Deutschland eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) (Z9.1-847) bzw. eine für unter anderem gebogene Bauteile (Z-9.1-291) und schließlich eine, in der auch die Blockverklebung geregelt ist (Z-9.1-100), während das finnische Pendant ein VTT-Zertifikat (VTT-C-184/03) besitzt. Die Dokumente beschreiben also sehr ausführlich die Anwendung des Holzwerkstoffs, die deutschen sogar die mehrteilige Anwendung samt Blockverklebung, selbst in gebogener Form. Auf dieser Basis war die Fertigung der Zugbögen aus Kerto-S bis zu einer definierten Dicke ein zugelassener Prozess. Entsprechend setzt sich der Untergurt des Bogenbinders aus 2 x 25 cm breiten und 16,8 cm hohen Teilquerschnitten zusammen. Die 50 cm Binderbreite waren zum einen das entscheidende Maß für die Bauteiltragfähigkeit, zum andern aber auch für die erforderliche Fläche des Treppenversatzes. Das hieß im Umkehrschluss für den Gesamtquerschnitt des Obergurts jedoch, dass dieser hätte kleiner ausfallen können und eröffnete damit die Möglichkeit, ihn zweiteilig - und sogar auf Abstand verlegt - auszuführen. Die Füllhölzer im Obergurt sorgen zum einen als Verbindungsstücke – insbesondere im Firstpunkt, wo sie die 11,25 m langen Balken, von beiden Seiten kommend, koppeln. Im Zuggurt braucht es sie jedoch als statisch relevantes Holz, da der gesamte Versatz mit 1,20 m Länge und 50 cm Versatztiefe als Anschlussbereich zur Kraftübertragung erforderlich ist. Die Füllhözer sorgen hier also für die benötigten Anschlussflächen, wurden darüber hinaus aber noch ein Stück weiter aus dem Zwickel in den sich aufspreizenden Trägerbereich hineingeführt. Die Bogenbinder-Zwickel bzw. -Auflagerbereiche erhielten eine entsprechend große Anzahl an kraftschlüssig eingedrehter Schrauben, um einerseits die Querkräfte zwischen den drei Bauteilen, also dem Füllholz und den zwei Balken des Obergurts zu übertragen, andererseits aber auch die Druckkraft aus dem dreiteiligen Gesamtpaket über den Treppenversatz in den Untergurt einzuleiten.

Herausforderung: Fertigung eines blockverklebten Bogenbinders

Auch für die Herstellung bedeutete die Verklebung der Bauteile – insbesondere die des Zugbogens, also der Sehne – eine große Herausforderung. Hier haben die Planer lange gesucht bis sie jemanden gefunden haben, der sich traute, die Blockverklebung der gekrümmten Bauteile für den Untergurt zu fertigen. Hinzu kam, dass diese aufgrund der Tiefe von 50 cm nicht an einem Stück hergestellt werden konnten. So bestehen die Untergurte - anders als in der Statik angegeben, wo sie als ein Teil berechnet wurden - ebenfalls aus zwei Teilen. Die beiden 25 cm breiten und 16,8 cm hohen Bögen liegen nebeneinander. Fixiert sind sie über die „Kerto-Schuhe“ der Steher sowie die Steher selbst. Doch sie sind auch an den Bogenenden fixiert, wo sie über den Treppenversatz und die Verschraubungen unverschieblich gehalten sind. Eine weitere Herausforderung lag im Abbund der 50 cm tiefen Treppenversätze sowie der erforderlichen Präzision, damit alle fünf Bauteile, die in diesem Punkt zusammentreffen, auch exakt zusammenpassen. Beim Abbund galt es außerdem, den konstanten Radius der Untergurt-Bögen zum Auflager hin tangential auslaufen zu lassen. Das ermöglichte gerade Flächen, in die sich ein ebener Treppenversatz problemlos einschneiden lässt.

Komplett vorgefertigte Bogenbinder vor Ort an Stützen angeschlossen

Alle acht Bogenbinder wurden komplett im Werk vormontiert, in Folie gepackt und zur Baustelle gebracht. Dort konnten sie in die bereits gestellten Stützen eingehängt und angeschlossen werden. Die zweiteiligen Stützen (b x h: 2 x 16,50 cm x 54 cm) sind aus BSH ausgeführt und über spezielle Stahlteile in die Fundamente eingespannt. Ähnlich wie bei den Obergurten erhielten sie an den Kopf- und Fußpunkten - aber auch in der Mitte der Stütze - Füllhölzer, so dass für die Anschlüsse Vollholzquerschnitte zur Verfügung standen. Die abzutragenden Verkehrslasten ergeben sich nicht nur aus Wind-, sondern vor allem aus Schneelasten. Dabei hat Schnee eine sogenannte „mittlere Lasteinwirkungsdauer“ (kmod: 0,8), was als durchaus hohe Belastung zu betrachten ist (sk = 2,75 kN/m2). Da Schnee als asymmetrische Last auftreten kann, galt es, dies in den statischen Berechnungen im Hinblick auf die Verformungsempfindlichkeit der Bogenbinder bzw. der Gesamtkonstruktion zu betrachten.

Nur Brandschutz für F30 erforderlich

Da die Flucht aus einer ebenerdigen Halle im Brandfall schnell erfolgen kann, wurde in Sachen Brandschutz lediglich eine F30-Bemessung durchgeführt, die recht überschaubar ausfiel. Eine Sprinkleranlage ist dennoch Teil des Brandschutzkonzepts.

Schrauben für den Holzbau und den Holzbau selbst voranbringen

Die Halle ist als Verkaufsraum mit Schulungsoption und für Meetings gedacht. Dazu gehören auch Schulungen für Ingenieure bzw. Tragwerksplaner, die neben dem klassischen Holzhausbau nun den Ingenieurholzbau in Finnland im Sinne des Würth-Konzerns weiter vorantreiben sollen.

Dipl.-Ing (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe
Bildquellen: Würth Oy

Kategorie: Projekte
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