Holz-Tragwerk und Metall-Fassade der Produktionshalle repräsentieren Einsatzgebiete für Produkte des Schraubenherstellers
Mit dem Neubau einer Produktionshalle für die SWG Schraubenwerk Gaisbach GmbH – Geschäftsbereich Produktion – in Waldenburg ist ein einzigartiges Gebäude entstanden: Das Dachtragwerk aus hochtragfähigem Buchen-Furnierschichtholz überbrückt mit einer filigranen Konstruktion sehr große Spannweiten und übersetzt den architektonischen Entwurf damit in idealer Weise in gebaute Realität. Mit dem Hallenneubau hat SWG nicht nur ihre Kapazitäten erhöht, sondern auch ein wegweisendes Pionierprojekt in Holzbauweise verwirklicht.
Im Gewerbepark Hohenlohe an der Autobahn A6 hat die SWG Schraubenwerk Gaisbach GmbH – Geschäftsbereich Produktion – an ihrem Firmensitz in Waldenburg ein Gebäudeensemble aus Produktionshalle, Bürohaus und Ausstellungspavillon errichtet. Das 1967 gegründete, zur Würth-Gruppe gehörende Unternehmen zählt zu den größten Schraubenherstellern Europas. Mit rund 230 Mitarbeitern stellt es täglich bis zu 12 Mio. Schrauben her – Tendenz steigend. Dieser Entwicklung trägt der Neubau nun Rechnung.
Ingenieurholzbau mit Pioniercharakter
Die neue Produktionshalle mit ihren enormen Abmessungen von knapp 96,50 m auf annähernd 114 m ist ein Ingenieurholzbau der Superlative. In ihm stehen zahlreiche große Maschinen, was unter anderem die Gebäudeabmessungen und damit auch die großen Spannweiten bestimmt hat. Zwei Spangen fassen die Halle ein, eine im Osten und eine im Westen. Darin sind Serviceeinrichtungen, Werkstätten, die Haustechnik sowie Umkleide- und Schulungsräume untergebracht.
Die Halle ist fünfschiffig angelegt und wird von einem kammartig geformten Dach überspannt. Die Hallenschiffe sind etwa 18,50 m breit. Ihre Dachflächen verspringen in regelmäßigen Abständen nach unten, wo sie etwa 5 m auf dieser geringeren Höhe weitergeführt werden, um dann wieder in die ursprüngliche Höhe überzugehen. Diese regelmäßigen Versprünge gliedern die großflächige Halle und sorgen wie Sheddächer – nur in umgekehrter Ausführung, quasi als „Shed-Gräben“ – für viel Tageslicht im Inneren. Im letzten Hallenschiff ist ein Drahtlager angeordnet, das von der Produktion durch eine Brettsperrholz(BSP)-Wand mit der Feuerwiderstandsklasse REI 90-B abgetrennt werden musste.
Entworfen und geplant hat das Gebäudeensemble das Team um Hermann Kaufmann aus Schwarzach in Vorarlberg (Österreich) und seine Partner Christoph Dünser, Roland Wehinger und Stefan Hiebeler, die seit Anfang 2018 zusammen unter dem Namen HK Architekten firmieren. Die Materialwahl Holz für das Tragwerk bzw. Blech und Metall für die Fassade sollen die Tätigkeitsfelder der SWG und die Einsatzgebiete ihrer Schrauben für den Holz- und Metallbereich widerspiegeln. Realisiert hat das Tragwerk das SWGeigene Ingenieurbüro SWG Engineering aus Rülzheim in Rheinland-Pfalz.
Trotz der Entscheidung, Holz zu verwenden, wollte die Bauherrschaft wissen, wo man mit konventionellen Baustoffen gelandet wäre. Und so haben die Ingenieure im Vorfeld untersucht, was es bedeuten würde, ein Tragwerk dieser Dimensionen und Spannweiten aus Stahl oder wie im Brückenbau aus Spannbeton zu realisieren. Stahlbeton schied wegen der Spannweiten von vornherein aus.
Es zeigte sich, dass es mit keinem der beiden Baustoffe wirtschaftlich zu machen wäre: Viel zu große, zu schwere und zum Teil kaum herstellbare Bauteile hätten nicht nur die architektonische Vision eines filigranen Tragwerks zunichte, sondern auch enorme Fundamente erforderlich gemacht und bei dem bedingt tragfähigen Untergrund hohe Kosten verursacht. Selbst Nadelholz wäre sehr klobig ausgefallen und bot keine Alternative. So kam nur ein Baustoff in Betracht: Das hochtragfähige Buchen-Furnierschichtholz (Bu-FSH) „Baubuche“ in der Festigkeitsklasse GL75, das hinsichtlich der Tragfähigkeit mit Stahl vergleichbar ist. Mit dem Hartholz ließ sich zudem die benötigte Holzmenge ressourcenschonend auf ein Minimum reduzieren.
3,8 m hohe Zweifeldträger über 82 m Hallenlänge
Die Zahl der Stützen in der Halle auf ein Minimum zu reduzieren, war Vorgabe des Bauherrn, der ein Maximum an Flexibilität in der Produktion wünschte. Das stellte eine besondere Schwierigkeit bei diesen Hallenabmessungen dar. So setzt sich das Hallentragwerk insgesamt aus vielen verschiedenen Fachwerksystemen zusammen. Das Dachtragwerk bilden 82 m lange und 3,80 m hohe Haupt-Fachwerkträger in Längsrichtung der Hallenschiffe. Lediglich auf einer Bu-FSH-Stütze gelagert, überspannen sie als Zweifeldträger ein 40 m bzw. ein 42 m großes Feld. Die 1,50 m hohen Neben-Fachwerkträger spannen quer dazu über 18,30 m und stützen sich auf den Haupt-Fachwerken ab.
Außer dem Laubholz trugen auch die Stahlverbindungsmittel in Kombination mit zimmermannsmäßigen Verbindungen zum Gelingen des Tragwerks bei, das in Größe, Schlankheit und Ausführung bisher einmalig ist. Die überwiegende Zahl der Anschlüsse und Knotenpunkte haben die Ingenieure als zimmermannsmäßige Verbindungen konzipiert, sie aber für die Verwendung von Bu-FSH an das Material angepasst, variiert und optimiert. Das ergab sich auch dadurch, dass sich die einfachen Geometrien dieser bewährten Holzverbindungen gut abbinden und die Bauteile zwängungsfrei fügen lassen – bei gleichzeitig optimaler Kraftübertragung in den Knoten.
Zur Übertragung der Druckkräfte haben die Ingenieure besonders oft den „verlängerten“ Treppenversatz genutzt, eine optimierte Version des seit Jahrhunderten bekannten Fersenversatzes. Bei den Zugverbindungen dagegen hat man hauptsächlich Schraubverbindungen eingesetzt. Um so filigran und materialeffizient wie möglich zu sein, wurde die Tragfähigkeit der Bu-FSH-Bauteile außerdem maximal ausgenutzt. Im Bereich des Knotenpunkts des Haupt-Fachwerkbinders über der Mittelstütze sind es sogar 99,9 %. Die Schwierigkeit lag darin, große Kräfte über kleine Querschnitte zu übertragen. Mit dieser widersprüchlichen Anforderung betraten auch die Tragwerksplaner Neuland, denn die Größenordnung der Kräfte lag beim Zehnfachen, zum Teil sogar beim Hundertfachen der Kräfte, die üblicherweise bei Projekten auftreten.
"Puzzle-Anschluss" nimmt Gewicht eines Airbus A380 auf
Bei den Fachwerkbindern des Dachtragwerks kommt eine Vielzahl ausgetüftelter Anschlussknoten zum Einsatz, darunter ein hochbelasteter Knotenpunkt aus puzzleartig verschränkten Bauteilen, der es ermöglicht, die großen Kräfte aufzunehmen und zu übertragen. Es handelt sich um den oben erwähnten Knotenanschluss über der Mittelstütze im Haupt-Fachwerkbinder, den sogenannten „Puzzle-Anschluss“. In ihm treffen fünf durch Druckkraft beanspruchte Stäbe aufeinander.
Betrachtet man die Querschnittsabmessungen im Verhältnis zur aufzunehmenden Kraft, wird die widersprüchliche Anforderung, große Kräfte über kleine Querschnitte zu übertragen, deutlich: Bei Pfosten- sowie Unter- und Obergurtabmessungen von 28 cm Höhe und 32 cm Breite bzw. Diagonalen mit einem Verhältnis h/b von 24 × 32 cm erhält der Druckpfosten knapp 200 kN an Normalkräften, bei den Untergurten kommen aber anbeiden Seiten 1,2 MN Druckkraft an. Die Diagonalkräfte erreichen schließlich eine Größe von 2 MN. Das hat zur Folge, dass die zweiteilige Mittelstütze eine Last von 2,8 MN aufnehmen muss. Um eine Idee dieser Größenordnung zu bekommen, stelle man sich einen leeren Airbus A380 mit einem Gewicht von 275 t auf jeder dieser Stützen vor. Diese zweiteiligen Stützen wurden ebenfalls aus Bu-FSH ausgeführt und haben Abmessungen von lediglich 2 × 28 × 32 cm.
Die zu lösende Aufgabe bestand darin, den Querdruck im Knotenpunkt zu reduzieren, da die Querdruckfestigkeit von Bu-FSH in den Gurten für die Lastdurchleitung nicht ausreichend war. Das erreichten die Ingenieure unter anderem, indem sie die horizontal wirkenden Lastanteile der Druckkräfte der Diagonalen über ein Zwischenstück (siehe Abbildung nächste Seite: türkiser Block mit „verlängertem“ Treppenversatz) direkt gekoppelt und die aus den Diagonalen resultierende Auflagerkraft nicht erst auf den Untergurt, sondern direkt in die Stütze eingeleitet haben. Das Gleiche gilt für die Vertikalkräfte des Druckpfostens.
Gebäudeaussteifung: Komplexes Zusammenspiel vieler Elemente
Aufgrund der Architektur mit den „Shed-Gräben“ musste jedes der fünf Hallenschiffe statisch für sich stehen und damit extra ausgesteift werden. Daraus resultierte ein komplexes Aussteifungskonzept, bei dem viele verschiedene Bauteile interagieren.
Die Aussteifung der Hallenschiffe erfolgt zum einen in der Dachebene über Bu-FSH-Diagonalen sowie Aussteifungsriegel, die die Obergurte der Neben-Fachwerkbinder gegen seitliches Ausweichen bzw. gegen Biegedrillknicken stabilisieren, zum anderen durch die 12 cm dicken BSP-Platten, die die tiefliegenden Sheddach-Bereiche ausbilden und gleichzeitig die Untergurte der Haupt-Fachwerkträger aussteifen. Sie verhindern durch die seitliche Fixierung außerdem, dass die Gurte durch die Druckkräfte ausweichen.
Darüber hinaus haben auch verschiedene Fachwerke aus Brettschichtholz (BSH) eine aussteifende Funktion, darunter spezielle Aussteifungsfachwerke an allen fünf Hallenstirnseiten. Sie sind mit 3,80 m so hoch wie die Hauptträger. Ihre Aufgabe besteht darin, die Aussteifungslasten in die untere Konstruktion abzuleiten. Auch BSP-Wände, die die Kräfte zum Teil in die Betonscheiben der Holz-Beton-Verbunddecken in der Ostspange einleiten, sowie die Nebengebäude-Kerne aus BSP in der Ost- und Westspange in Verlängerung des jeweiligen Hallenschiffs sind wesentliche Aussteifungselemente.
Verarbeitung von Bu-FSH erfordert taugliche Schrauben
Fachwerkträger aus Bu-FSH mit großen Bauteildimensionen sind nicht alltäglich. Mit der Vorfertigung, Anlieferung und Montage des Holzbaus hatte SWG die Firma Schlosser in Jagstzell beauftragt, denn dort hatte man bereits Erfahrung mit dem Abbund und der Bearbeitung von Bu-FSH-Bauteilen. Dabei sind zwei Aspekte von besonderer Bedeutung: Der Einsatz von Bu-FSH erfordert die Verwendung spezieller Schrauben und Stahlverbindungsmittel, die dafür zugelassen sind. So kamen bei den Fachwerken entsprechend geeignete, bei SWG selbst hergestellte Verbindungsmittel zum Einsatz, vor allem die Würth-Vollgewindeschrauben „Assy“ – oder genauer gesagt die ETA (European Technical Assessment) des Bu-FSH von Pollmeier (ETA-14/0354) in Kombination mit der ETA der „Assy“-Vollgewindeschrauben von Würth (ETA-11/0190). Denn entscheidend für den sicheren Einsatz ist die Verknüpfung der beiden ETA, also der Bezug, den die jeweilige ETA auf die andere nimmt. Mit der Abstimmung dieser beiden Produkte geben die Hersteller dem Anwender und Tragwerksplaner die Bestätigung, beide gemeinsam verwenden zu
können.
Bei den „Assy“-Vollgewindeschrauben handelt es sich um selbstbohrende Schrauben aus speziellem gehärteten Kohlenstoffstahl oder nichtrostendem Stahl mit Gleitbeschichtung und Korrosionsschutz. Der Gewindeaußendurchmesser liegt zwischen 3 mm und 14 mm, die Gesamtlänge der Schrauben bei 13 mm bis 1,5 m. Aufgrund der großen Abmessungsvariabilität konnte dieser
Schraubentyp bei allen Fachwerkträgern eingesetzt werden, also bei den Haupt-, Neben- sowie den Aussteifungs-Fachwerken.
Spezielle Werkzeuge zur Hartholzbearbeitung
Für die Bearbeitung und Montage von Hartholz-Bauteilen sind außerdem spezielle, materialspezifische Werkzeuge erforderlich, etwa zum Vorbohren und Eindrehen der Schrauben. Zwar handelt
es sich bei „Assy“ um selbstbohrende Schrauben, die keine Vorbohrungen benötigen, bei Bu-FSH-Bauteilen ist aufgrund der hohen Materialdichte Vorbohren dennoch unbedingt erforderlich. Abgesehen davon, dass damit die Schraubenpositionen definiert sind, was gerade bei einer großen Schraubenzahl wie bei den Knotenpunkten der Produktionshalle, hilfreich ist, müssen sie nicht erst auf der Baustelle angerissen werden. Das spart Zeit und Personal und hilft, Fehler zu vermeiden.
Auch ermöglicht das Vorbohren, die Schrauben planmäßig und passgenau in die Bauteile einzudrehen und sorgt damit für die nötige Prozess-Sicherheit. Ebenfalls wegen der hohen Materialdichte ist bei Bu-FSH außerdem darauf zu achten, dass eher kürzere Schrauben mit größeren Durchmessern verwendet werden, als lange dünne. Zum Eindrehen der Schrauben werden Bohrschrauber mit hohem Drehmoment benötigt.
Bauteiltransport und Montagelogistik des Tragwerks
Mit 44 LKW-Fahrten wurden die Holzelemente von Jagstzell in den 50 km entfernten Gewerbepark transportiert. Die Haupt-Fachwerkträger kamen in drei Teilen witterungsgeschützt in Folie gehüllt auf die Baustelle: Zwei Endstücke und ein Mittelstück. Mit Hilfe eines Leergerüsts wurden sie mit BSP-Platten zu drei „Shed-Graben“-Teilen zusammengebaut. Autokräne hievten zunächst die Endstücke auf Montageböcke in Position. Das noch fehlende Mittelstück, das sogenannte „T-Stück“, wurde zum Schluss von oben eingesetzt, verschraubt und so der „Shed-Graben“ komplettiert.
Brandschutz mit Holz besonders kostengünstig
Besonders erwähnenswert ist die REI 90-Trennwand, mit der das letzte Hallenschiff, in dem sich das Drahtlager befindet, von der Produktionshalle abgeschottet werden musste. Da die Planer keine eingespannte und aufwändig herzustellende Stahlbetonwand einbauen wollten, haben sie eine spezielle Wand entwickelt, die sich aus 18 cm dicken, 2,50 m breiten und 12 m hohen BSP-Elementen zusammensetzt. Sie erfüllt eine Feuerwiderstandsdauer von 90 Minuten bzw. weist eine Feuerwiderstandsklasse von REI 90-B auf.
Die Brandschutzanforderung von REI 90-B ließ sich mit Bu-FSH über eine entsprechend größere Bauteildimensionierung (Heißbemessung) und ein ausgeklügeltes Brandschutzkonzept inklusive
Sprinklern vergleichsweisegünstig erfüllen. Hätte man ein Stahltragwerk dieser Größenordnung mit einem Brandschutzanstrich versehen wollen, wäre der bauliche Brandschutz vom Arbeitsaufwand her kaum zu bewältigen gewesen und auf jeden Fall sehr teuer ausgefallen.
Gebäudeensemble mit Signalwirkung in der Öffentlichkeit
Der Geschäftsbereich SWG Produktion erwarteterwartet von dem Neubau aus Halle und Büro- bzw. Ausstellungs-Pavillon auch eine Signalwirkung über die Landesgrenzen hinaus. Denn er zeigt der Öffentlichkeit, in welchen Dimensionen moderner Ingenieurholzbau – in wirtschaftlich darstellbarer Weise – möglich ist. Da SWG Schraubenwerk Gaisbach in den nächsten Jahren mit einer weiteren Zunahme des Schraubenbedarfs für den Holz- und Ingenieurholzbau rechnet, haben die Architekten die Halle so ausgelegt, dass sie im Bedarfsfall um zusätzliche 11 000 m² erweitert werden kann.
Doch jetzt läuft erst einmal die Produktion in der gerade fertiggestellten Halle unter dem bislang größten Dachtragwerk aus Bu-FSH, einem Ingenieurholzbau der Extraklasse.
Autorin: Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe